Hans-Gerd Eilers, Baujahr 62 ist ein echter Wangerländer - und ein Landwirt, wie er im Buche steht: Mit grüner Latzhose, grauem Bart und einem eher trockenen Humor. Hier oben nennen ihn alle nur H.G. – der Einfachheit halber. Im Sommer mäht H.G. die Deiche im Wangerland, außerdem kümmert er sich um die Campingplätze in Schillig und Horumersiel. Das ist seine Art, die Liebe zu seiner Heimat zu zeigen...
PROFICAMPER
WILLI RETZLAFF
Ein Proficamper in Schillig - und ein Rentier
Eine Tasse Bier mit den Menschen hier oben zu trinken, das ist Leben!
Wilhelm Retzlaff, geboren in Ostfriesland, kann eigentlich alles. Ganz besonders gut allerdings kann er über das Leben philosophieren und fantastische Geschichten von seinem Dasein als Proficamper in Schillig erzählen. Willi ist dabei eine Erscheinung: Er hat gepflegte, längere weiße Haare, trägt Bart und überall Tattoos sowie Armbänder irischer Herkunft und eine tiefe Bräune. Er sieht aus wie einer, der unablässig Spaß am Leben hat und vor Lebensfreude platzt. Das Beste daran: Er ist tatsächlich so!
Es ist schon ein ungewöhnliches Zuhause, das wir bei unserem Besuch antreffen: Wilhelm Retzlaff, 70 Jahre alt, lebt seit 41 Jahren auf dem Campingplatz in Schillig im Wangerland an der Nordsee, einem der ältesten und größten Campingplätze in Deutschland. Willis trautes Heim, das ist ein Wohnwagen mit direktem Blick aufs Meer: „So langsam hat man sich vorgearbeitet. Wir sitzen jetzt mit der ersten Wohnwagen-Reihe direkt am Deich, da kann man wunderbar die Leute von hinten begucken und das Ratespiel machen ‚Wer gehört zu wessen Hintern’“, erzählt er und grinst. Ja, Willi fühlt sich hier sauwohl. Und schwärmt gleich von früher: „Da war man ja noch jünger und wir haben mit allen Campingwagenbesitzern viele Feste gefeiert. Da habe ich so einige tolle Menschen kennengelernt, aber leider sind auch einige schon gegangen.“
41 Jahre sind ja auch eine lange Zeit. Ganz so sesshaft war Willi nicht immer, im Gegenteil. Bevor er im Wangerland gestrandet ist, war er ein richtiger Seebär: Mit noch nicht mal 15 Jahren ist er zum ersten Mal zur See gefahren und wartete auf sein erstes Schiff: „Ein Kübel übelster Sorte. MS Friesland - ich glaube, es stand irgendwo ein Schild auf dem Schiff mit dem Spruch ‚Wer hier einkehret, lasse alle Hoffnungen fahren!’“ Mit diesem Schiff fuhr der junge Abenteurer nach England - und war acht Monate seekrank. Trotzdem hat er 1964 in Travemünde seine Matrosenprüfung gemacht, nachdem er auf der Knotenakademie in der Mosesfabrik der Seemännischen Berufsfachschule in Elsfleth gelernt hatte, was ein Schiff ist. „Danach bin ich in alle Herrenländer über die Weltmeere gefahren. Auf Tankern, Fischereifahrzeugen und Frachtschiffen. Ein Passagier-Schiff war auch dabei, da habe ich rosarot gefärbte amerikanische Witwen durch die Gegend geschaukelt. Es war so was von furchtbar.“
Videointerview
Und so hat Willi nach drei Monaten wieder die Biege gemacht und sich überraschend bei der Seefahrtschule angemeldet. Denn: „Arbeiten ist ja nett, aber mit den Händen arbeiten, das gibt abgebrochene Fingernägel!“ Mit 21 drückte Willi in Lübeck an der staatlichen Seefahrtschule im alten Kaiserturm nochmal die Schulbank, um Nautik zu studieren. Jahre später, mit 27, wurde er Marinesoldat und war zum Schluss in Sengwarden stationiert. Es war ein Obermaat, der hier mit seinen Eltern einen Wohnwagen hatte, und Willi fragte, ob er nicht mal mitkommen wolle. Willi wollte. Und kaufte sich Monate später seinen eigenen Wohnwagen, um auf dem Campingplatz sesshaft zu werden. Aus gutem Grund: „Wo habe ich eine solche Luft? Ich war letztens erst an der Ostsee, da ist es ist schön, aber anders. Hier fühle ich mich freier; die Luft ist für mich bekömmlicher. Ich mag es, wenn ich oben auf dem Deich so ganz alleine dastehe und meine Gedanken in die Ferne schweifen. Viele fragen mich immer wieder, warum denn Wohnwagen? Ganz einfach: In einem Hotel bin ich zu Gast. Hier in meinem Wohnwagen bin ich zuhause.“ Sechs Monate im Jahr wohnt Willi in Schillig auf dem Campingplatz. Im Winter lebt er in Hoya an der Weser und für Willi ‚Stadt am Meer, Tor zur Welt, Brücke nach Übersee’. Denn diese Sehnsucht nach der Ferne, die ist noch da: „Ich bin begeisterter Irlandfan und bin die letzten zwei Jahre immer hingeflogen. Dort, in meinem Lieblingsort Lisdoonvarna an der Westküste, habe ich letztes Jahr auch meinen 70igsten Geburtstag gefeiert.“
Die Küste hat es Willi angetan und so schließt sich der Kreis mit dem Leben im Wangerland wieder. „Ich liebe dieses Rentier-Sein. Ich habe hier ein freies Leben, da kannst du mich nur noch mit kaltem Kaffee und warmem Bier vergraulen“, lacht Willi. Dazu besteht freilich keine Sorge, denn die wunderbaren Mitarbeiter des Campingplatzes tun alles dafür, dass die Camper glücklich sind. Und trotzdem gibt es Leute, die meckern. So was macht Willi fuchsteufelswild: „Die gehen mir richtig auf den Sack! Wenn hier nach 22 Uhr die jungen Leute mal einen über den Durst trinken und es etwas lauter wird, stehen die Alten gleich da und schimpfen wie die Rohrspechte rum, man könnte nicht schlafen. Ich sach’ dann immer, dann müsst ihr auf dem Friedhof campen, da ist Ruhe. Wenn ich denke, ich kann nicht schlafen, weil es irgendwo zu laut ist, dann gehe ich hin und sage: „Ihr habt scheißlaute Musik an, ich kann nicht schlafen - habt ihr ein Bier für mich? Und dann trink ich denen alles weg und mein Abend ist gerettet!“
Ja, meckern ist Willis Sache nicht. Warum auch, gibt für ihn ja keinen Grund, selbst dann nicht, wenn es in Strömen regnet: „Bei Schietwetter ist es für mich das Schönste nach dem Aufstehen, man guckt in die Zeitung und genießt sein Frühstück, guckt über den Deich, sinniert so ein bisschen vor sich hin und sacht ‚Menschenskinder noch mal, wat ist das Leben schön’ und schnappt sich ein Buch.“ Und wenn es tagelang schifft? Für Willi ist das auch kein Grund, Trübsal zu blasen. Stattdessen verrät er uns sein Gute-Laune-Geheimnis: Man nimmt ein „24-Röhrengerät“, also eine Kiste Bier, und schaut im Kühlschrank, ob noch ein „Absturzbeschleuniger“ drin ist. Und dann erzählt man sich Geschichten. „Es sind seit 40 Jahren dieselben Geschichten, aber die klingen jedes Mal anders. Wir lügen nicht, aber wir sagen tüchtig die Unwahrheit. Denn jeder erzählt die Geschichte, die er mal gehört hat, immer wieder so, als hätte er sie selbst erlebt. Demnach müssten einige noch mit Columbus hier vorbei gesegelt sein. Das ist das Interessante hier in Schillig und das Besondere an unserem Camper-Leben!“
Alles klar, wir haben verstanden. Und danke, Willi, dass wir in dein Herz schauen durften! Danke, dass du uns Camping aus einer neuen, faszinierenden Perspektive gezeigt hast. Fakt ist: Willi glaubt an das, was er fühlt und sagt. Besuchen Sie ihn doch mal auf dem Campingplatz in seinem Wohnwagen. Und erleben Sie ihn selbst. Das ist unbezahlbar! Es schadet übrigens nicht, wenn Sie ein 24-Röhrengerät im Gepäck haben..
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Text: Sylke Sdunzig / Foto: Tom Tautz / Videointerview: Dorian-Vasco Nagel
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Wattkerl
ARNO ECKHOFF
Watt für ein richtig cooler Typ!
Nur wenige Autominuten vom Wangerland an der Nordsee entfernt liegt Ostiem, ein Stadtteil von Schortens im wunderschönen Friesland. In dem kleinen Örtchen mit seinen Idyllischen Bauernhäusern, umringt von purer Natur, lebt Arno Eckhoff mit seinen zwei Söhnen auf einem Resthof. Hier empfängt uns der 58-jährige, der allerdings eher aussieht wie Ende 40, in seiner blitzblanken Küche und macht uns erst einmal einen Ostfriesentee.
Arno liebt die Ruhe und ganz besonders die Natur und lebt inzwischen lieber hier. Und das, obwohl er als gebürtiger Dortmunder die raue Gegend der Zechen, den Menschenschlag und den Trubel durchaus schätzt. „Ein Weg zurück nach Dortmund kommt für mich nicht mehr in Frage, auch wenn ich gerne dort bin“, erzählt uns Arno während er den Kandis in die Teetassen legt. Als wir uns umschauen, sehen wir um die hundert Kaffeetassen an Wandhaken hängen. Auf den meisten prangen Flaggen und Logos von fremden Ländern sowie Embleme von Marineschiffen. „Alles Erinnerungen und Souvenirs. Die habe ich in den letzten 30 Jahren alle gesammelt, als ich als Soldat bei der Marine auf See unterwegs war“, sagt Arno.
Die ersten zwei Jahre seiner Bundeswehrzeit hat er in Flensburg beim Fliegerhorst verbracht. So richtig glücklich war er damit nicht und dachte sich: „Seefahrt ist besser, als am Flugzeug herumzuschrauben.“ Er ließ sich nach Wilhelmshaven an die Nordsee versetzen und fuhr auf den Fregatten dieser Welt zur See. „Diese Zeit habe ich geliebt, weil mich die Seefahrt zu dem gemacht hat, der ich heute bin. Später hat mich die Liebe dazu gebracht, hier oben im Norden sesshaft zu werden. Die Beziehung hat zwar nicht gehalten, aber die Liebe zu dieser Region ist nach wie vor ungebrochen“, erzählt uns Arno weiter.
Videointerview
„Früher als ich Obermaat war, waren wir oft mit mehr als vier Jungs auf einer Kammer. Eng und zeitlich eingesperrt. Man brauchte schon eine große Portion soziales Engagement und musste auf die anderen Rücksicht nehmen. Hin und wieder wurde der eine oder andere Kamerad auch erzogen. Vielleicht wurde ich auch erzogen, aber das habe ich dann nicht mitbekommen. Durch Sport ließ sich vieles ausgleichen“, lacht Arno. Er ist ein aufgeräumter Typ, Marinesoldat eben. Sehr relaxt und organisiert. Als wir durch sein Haus gehen, wird schnell klar, dass er sich seine Vergangenheit ebenfalls bewahrt hat. Es gibt wirklich viele skurrile Dinge in seinem Heim, etwa Computer aus den 80er Jahren (die immer noch voll funktionstüchtig sind), Relikte aus der Marinezeit, die wir so noch nicht gesehen haben und uns an den Film „Zurück in die Zukunft“ erinnern.
Das Meer, seine Bewohner oder besser gesagt, das Wattenmeer und seine Wattbewohner, prägten Arno bereits damals. Und so ist er heute im Wangerland als Wattführer unterwegs. Aber wie wird man als Seemann, der ja in der Regel auf dem Wasser mit einem Schiff unterwegs ist, Wattführer auf dem Meeresgrund im Wangerland an der Nordsee? „Ich war 1989 bis Anfang 90er auf der Fregatte Augsburg stationiert. In Augsburg hatten wir eine Patenschaft mit einem Kinderheim; jedes Jahr kam eine Gruppe nach Wilhelmshaven zum Zelten. Wir haben die Kinder betreut mit viel Programm; einer der Programmpunkte war immer wattwandern. Ich hatte richtig Spaß daran und habe dann öfter auch mal mit Freunden an geführten Wattwanderungen teilgenommen. Irgendwann dachte ich, weil mir das so gut gefallen hat, das kannst du ja auch selbst! Und so habe mich informiert, wie man stattlich geprüfter Wattführer wird. In der Zeitung gab es eines Tages einen sehr interessanten Artikel von Holger Prüter, einen ehemaligen Wattführer im Wangerland. Daraufhin habe ich ihn einfach angerufen und ihm gesagt, dass ich Interesse habe. Und so bin ich nach meiner Prüfung in die Wattführergruppe Wangerland reingerutscht. Das war im Jahr 2007“, erzählt uns Arno.
Wir können uns vorstellen, dass man am Wasser besser denken kann. Dasselbe gilt auch, wenn das Wasser nicht da ist, wenn man sich am oder im Wattenmeer befindet. Was wir gerade denken, verraten wir lieber nicht. Jedenfalls stehen wir nun mit Arno in Schillig am Strand, und das Wasser ist weg. Ebbe. Ab ins Watt, heißt es jetzt für uns, obwohl es gerade noch geregnet und sogar gehagelt hat, als würde die Welt untergehen und wir eigentlich lieber einen heißen Kakao im schönen Strandcafé trinken würden. Aber der Gedanke ist gleich wieder verschwunden, denn plötzlich reißt der Himmel am Horizont schon wieder auf. Es wird sogar richtig warm. „Das ist normal hier oben an der Küste. Ich mache zwei bis drei Wattwanderungen pro Woche. Mal ist das Wetter schön, mal regnet es. Völlig egal, denn ich bringe den Menschen das Watt näher, die Natur und die Vielfältigkeit von Ebbe und Flut. Da wird das Wetter zur Nebensache“, erklärt uns Arno.
Wenn er im Wattenmeer unterwegs ist, ist er glücklich.
Da ist es wieder: Dieses Licht, das es nur am Meer gibt. Klare Luft, weiter Himmel, mal mit, mal ohne Wolken. Das Watt hat viele Facetten, ist leise und doch matschig, geheimnisvoll, ein wenig unheimlich und natürlich ein faszinierender Lebensraum für viele Tiere. Wir geben zu, nach ein paar Metern macht uns seine Art, „sein“ Wattenmeer näher zu bringen nicht nur Spaß, sondern wir sind stolz, ein so wunderbares Naturerlebnis erleben zu dürfen. Wer kann schon behaupten, mehrere Meter mit humorvoller, fachkundiger Führung über den Meeresboden gelaufen zu sein?
Arno führt Gruppen und meistens auch Schulklassen durch das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer. „Schulklassen sind meine besonderen Lieblinge“, lacht Arno. „Es gibt in jeder Klasse einen ganz Coolen und einen Klassenclown. Der Coole mit den tollsten Sprüchen wird im Watt meistens so klein mit Hut, dass er die ganze Tour über am Rockzipfel seiner Lehrerin hängt. Der Klassenclown hört zwar zu, was ich sage, bleibt aber meistens nach zehn Metern schon im Schlick stecken und jammert. Ich darf ihn dann rausziehen. Danach ist der dann auch ganz kleinlaut. Deswegen gehe ich immer barfuß ins Watt. Nicht nur, weil ich Schüler aus dem Schlick ziehen muss, sondern weil es nichts Schöneres gibt, wenn der Schlick durch die Zehen hoch kommt“, schwärmt Arno weiter. Wir können dem nur zustimmen: Barfuß mit hochgekrempelter Hose fühlen wir uns am wohlsten.
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Wer Arno einmal persönlich kennenlernen möchte, kann dies abends am 07. August in Schillig tun.
In Kooperation mit „Die Nordsee GmbH“ wandert Arno für Einheimische und Urlauber über den Meeresboden. Wir versprechen: es wird faszinierend aufregend!
Gefördert wird diese Aktion übrigens von der Europäischen Union im Rahmen des INTERREG-Programms.
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Nach 30 Jahren als Soldat bei der Marine ist bei Arno noch lange kein Ruhestand in Sicht. Arno hat im stattdessen Hummeln im Hintern. Er führt nicht nur mehrmals die Woche Menschen durchs Watt, sondern ist auch Sportwart; er gehört zum Geschäftsführenden Vorstand beim TuS Oestringen, einem Sportverein in Schortens. „Wer rastet, der rostet. Ich bin Vater von zwei Söhnen, der eine geht noch zur Schule und der andere studiert in Hamburg. Ich bin immer in Bewegung. Im Sportverein organisiere ich nicht nur alles Mögliche, ich spiele auch mit einer Männergruppe Fußball und Hockey und gehe zwei- bis dreimal die Woche zwischen zehn und zwölf Kilometer laufen. Als Hobbyläufer nehme ich gerne an Stadtläufen teil und jogge auch sehr gerne mit meiner Freundin in der Natur oder an der Küste entlang“, erzählt uns Arno.
„Im Wangerland an der Nordsee ist man eben nie weit weg vom Meer“, sagt Arno. Kein Wunder, dass ihn die Urlauber öfter darum beneiden, auf dem Meeresboden herum spazieren zu dürfen. Aber Arno geht es um weit mehr: Ihm ist es gelungen, den Menschen das Wunder Wattenmeer auf eine besondere Art näher zu bringen. Ihm ist es wichtig, dass Menschen, die mit ihm ins Watt gehen, dieses kostbare Gut bewahren. Er selbst tut etwas dafür, ohne nachzudenken - indem er sein Wissen weitergibt. Für ihn die selbstverständlichste Sache der Welt. Arno ist eben ein echter Wattkerl, mit dem man unbedingt mal ein paar Meter über den Meeresboden gewandert sein sollte.
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Text: Sylke Sdunzig / Foto: Tom Tautz / Videointerview: Stefan Sobotta
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Multiplayer
Fabian Thomas
Vom Glück, im Zickzack durchs Leben zu gehen
Impulsive Entscheidungen sind die besten. Wir als Kreative können ein Lied davon singen, sonst würde es „Luv & Lü“ nicht geben. Und spontan gelebtes Leben kann zu visionären Erfahrungen führen. Warum Fabian Thomas des Öfteren im Leben nach rechts abbiegt, anstatt nach links wie ursprünglich geplant - das erzählen wir jetzt.
Wir treffen Fabian, den smarten Typen von Mitte zwanzig, auf einem malerischen Resthof im Wangerland an der Nordsee. Als wir mit ihm sprechen, merken wir schnell, dass Fabian jobtechnisch auf der Überholspur lebt. Er ist Organist, also Musiker, außerdem eine Art Musiktherapeut. Und er ist Vater auf Entfernung, arbeitet als Restaurantfachmann in der Gastronomie, betreut Ferienwohnungen und Feriengäste. Obendrein ist er Grafiker und Fotograf. Das reicht eigentlich für drei Leben. Aber fangen wir von vorne an.
Aufgewachsen in Nordrhein-Westfalen jobbte er bereits seit seiner Jugend in der Gastronomie. Die Liebe zu diesem Beruf kam durch seine Mutter, die auf einer Beauty-Farm arbeitete. Jeden Tag nach der Schule fuhr er zur ihr, um auszuhelfen. Für alle in der Familie war klar: Das macht Fabian irgendwann hauptberuflich. Fabian hat sich jung gebunden und wurde früh Vater. Eines Tages fing seine heile, kleine Welt an zu wackeln, und er entschloss sich einen Neuanfang zu starten. Sein Ziel: die Nordseeküste. Fabian folgte einem Bauchgefühl und landete in Wilhelmshaven, wo er für drei Monate in einem Hotel arbeitete. „Ich habe schnell gemerkt, dass mir das mit der Gastronomie einfach keinen Spaß mehr macht, und es jetzt an der Zeit ist, auch in beruflicher Hinsicht einen Neuanfang zu wagen“, erzählt uns Fabian.
UNTERWEGS ZU SEIN IST DOCH
IN ERSTER LINIE EIN GEISTIGER ZUSTAND, ODER?
Auf die Frage, warum er die Gastronomie an den Nagel hängen möchte, erzählt er uns: „Der Job ist oft anstrengend und undankbar, wenn man es von der einen Seite betrachtet. Die Bezahlung ist miserabel für die Stunden, die man leistet, der Stress dahinter, Freunde und Freundschaften kannst du total vergessen. Es gibt diese Gastronomen-Sprüche, dass man keine Freunde braucht, weil die Arbeitskollegen deine Familie sind. Man kann sich das Ganze auch schönreden und das tun, glaube ich, auch 90 % aller Gastronomen. Irgendwann kommst du an dem Punkt in deinem Leben, wo du aufhören solltest, dir alles schön zu reden. Dass es einfach wichtigere Dinge im Leben gibt, die einen glücklicher machen.“
Videointerview
Mit einer Menge Mut im Gepäck macht sich Fabian auf die Reise in ein neues Genre: Grafik- und Webdesign und Fotografie. Bloß nie wieder Gastronomie! Er plant seine Selbstständigkeit und trifft auf seinen jetzigen Arbeitgeber, der – Überraschung! - aus der Gastronomie kommt. „Er schrieb mich damals an, dass er Fotos für seine Ferienwohnungen benötigt. Man traf sich, war sich sofort sympathisch und kam ins Gespräch. Tja, was soll ich sagen. Das ist jetzt dreieinhalb Jahre her und seitdem arbeite ich in seinem italienischen Restaurant „Il Gabbiano“ in Horumersiel als Restaurantfachmann und Mädchen für alles. Ich bin der Grafiker, produziere die Fotos für die Ferienwohnungen und betreue die Gäste. Und bin da gelandet, wo ich eigentlich nicht mehr hin wollte - in der Gastronomie, aber das funktioniert alles so gut, als würde man seit 30 Jahren zusammen arbeiten. Das ist ein ganz großes Spektrum, was wir da betreuen. Und ich habe alle Freiheiten, die ich brauche“, erzählt uns Fabian mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht.
"MAN MUSS OFFEN UND AUFGESCHLOSSEN SEIN."
Eines Tages, scheinbar kein Einzelfall in seiner Wahlheimat Horumersiel im Wangerland an der Nordsee, kamen die Menschen auf Fabian zu. „Es ist nicht so anonym wie in der Stadt. Jeder ist menschlich an einem interessiert. Man kommt ins Gespräch und wenn man den Einheimischen hier sympathisch ist, lassen sie einen nicht mehr los. Plötzlich hat man ein neues Zuhause, hat neue Herausforderungen und neue Bekanntschaften in seinem Leben. Man muss nur offen und aufgeschlossen sein.“
Auf seinen täglichen Weg zur Arbeit fährt Fabian immer an einer Aufsehen erregenden Kirche vorbei. Die „Kirche am Meer“ ist ein stolzer, souveräner Kirchenneubau, der sogar einen Architekturpreis gewonnen hat. Fabian hatte mit Kirche wenig am Hut, aber er ist ja Musiker und suchte noch nach einen Ort, wo er diese Leidenschaft ausleben konnte. Er dachte an einen Chor und landete an der Orgel. „Man hat mir einfach den Schlüssel der Orgel in die Hand gedrückt, und seit Februar 2016 spiele ich dort, so oft ich kann, die Orgel. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von den Abläufen in einer Kirche, wie eine Messe aufgebaut ist oder was ich eigentlich tun muss. Mittlerweile weiß ich das größtenteils und habe mich da so reingefuchst“, verrät uns Fabian. Aber Fabian spielt nicht einfach nur Orgel und singt klassische Kirchenstücke. Fabian erfindet die Kirche neu! Er spielt auch Songs von Peter Maffay oder den Soundtrack von „Fluch der Karibik“.
Fabian ist einer dieser Typen, die immer rechts abbiegen. Er ist auf der Suche. Nach neuen Herausforderungen. Und nach sich selbst. Stehenbleiben kommt für ihn nicht in Frage, dafür lässt sein Tagesablauf auch keinen Raum. „Es gibt Tage, da arbeite ich von 8 Uhr bis 11.30 Uhr als Musiktherapeut in der Klinik, dann regulär von 12 Uhr bis 15 Uhr im Restaurant, von 15.30 Uhr bis 16.30 Uhr bin ich in der Kirche, um 17 Uhr bis abends im Restaurant und oft fahre ich dann noch einmal in die Kirche und spiele für mich zum Runterkommen an der Orgel.“ Auf die Frage, wann er mal Zeit für sich hat, sagt er: „Das ist die große Frage, eigentlich alle zwei Wochen an den Wochenenden, wenn ich zu meinem Sohn nach Nordrhein-Westfalen fahre. Ich schalte mein Handy ab und denke keine Sekunde an die Arbeit! Aber mir macht das alles sehr viel Spaß, sonst würde ich das nicht machen. Und Horumersiel mit seinen Menschen schenkt mir immer wieder das Gefühl, zuhause und ein Stück weit angekommen zu sein.
Als wir Fabian trafen, war uns übrigens nicht bewusst, wie modern, entspannt und beflügelnd Kirche sein kann. Ein Ort der Ruhe, der Besinnung und der Begegnung auf eine ganz neue und moderne Art. Klar, Fabian ist ein richtig guter Typ, und er hat sich für uns geöffnet und uns berührt. Wenn er an der Orgel spielt, ist er ganz bei sich. Er füllt diesen Raum mit einer Kunst, die man einfach lieben muss. Jeder, der im Wangerland lebt oder Urlaub macht, sollte sich nur einmal die Zeit nehmen und an diesen wunderbaren Ort gehen. Einfach nur zuhören, wenn Fabian an der Orgel spielt.
Strandkorbdoktor
Enno Bauer
Friesische Gemütlichkeit, die eine Nummer trägt.
Würde es den Wind und die steife Brise im Wangerland an der Nordsee nicht geben, gäbe es vermutlich kein maritimes Strandmobiliar. Der Wind ist schuld - Gott sei Dank! Natürlich. Bodenständig. Einzigartig. Schön. Der Strandkorb: ein einfaches Dach über dem Kopf, von drei Seiten geschützt - längs- oder quer gestreift, mit Meeresmotiven oder einfach prachtvoll in vielen bunten Farben. Für die einen ein Stück Heimat, für die anderen ein Stück abgeschirmter Ruhe, einfach ein Lieblingsplatz, in dem man ungestört die Seele baumeln lassen kann. Ein Strandkorb sieht immer gut aus, egal bei welchem Wetter. Und damit das so bleibt, werden im Wangerland an der Nordsee alle Strandkörbe von Strandkorbdoktor Enno Bauer von Hand gehegt und gepflegt.
4.000 STRANDKÖRBE IN 20 JAHREN
Enno Bauer ist Strandkorbdoktor bei der Wangerland Touristik mit Leib und Seele. Es gibt keinen Strandkorb, der nicht mindestens einmal durch seine Hände gegangen ist. Enno ist der einzige Strandkorbdoktor im Wangerland und musste sich seinen „Doktortitel“ erst erarbeiten. In über 20 Jahren hat er über 4.000 Strandkörbe repariert. Ohne Medizinstudium, aber mit viel handwerklichem Geschick und sehr viel Freude an der Arbeit. Aber wie wird man eigentlich Strandkorbdoktor? „Zuerst war ich ganz normal als Reparateur angestellt und habe mich täglich um Strandkörbe gekümmert. Erst als mein Kollege in Rente ging, habe ich den Job übernommen“, erzählt uns Enno.
Jedes Jahr im April, wenn das zartgrüne Gras der Dünen im Wind den Frühling ankündigt, dann ist es endlich soweit. An den Stränden von Schillig, Horumersiel und Hooksiel werden traditionell die Strandkörbe aufgestellt. Liebevoll gepflegt und voll funktionstüchtig warten die maritimen Strandaccessoires auf Reisende, die im Wangerland ihr Ferienglück suchen.
NORDDEUTSCHE GEMÜTLICHKEIT MIT NUMMER
Als wir Enno in seiner Strandkorbwerkstatt besuchen, ist das Wetter nicht besonders strandtauglich, eher friesisch herb und seine Werkstatt in Schillig ist rappelvoll mit Strandkörben, die alle auf „Erste Hilfe“ warten. Enno ist ein Typ Mensch, der immer gute Laune versprüht, weil er das besondere Etwas hat, das herzlich Friesische, das was die Menschen am Meer so ausmacht. Das ist so ansteckend, dass uns trotz des schlechten Wetters ganz warm ums Herz wurde, als wir ihn bei seiner Arbeit begleiten durften. Denn tief in unseren Herzen sind wir alle romantisch. Strandkörbe zu mögen, ist nicht schwer, denn die maritimen Farben an einem weißen Dünenstrand ergreifen einfach jeden von uns. Sie stehen urig und stolz, kreuz und quer an den Stränden und symbolisieren norddeutsche Gemütlichkeit, die eine Nummer trägt!
Videointerview
„MEINE KÖRBE KOMMEN JETZT AUS DEM WINTERSCHLAF UND MÜSSEN AUF VORDERMANN GEBRACHT WERDEN. WAS ZÄHLT, IST DAS ERGEBNIS!“, SAGT ENNO.
Die Strandkörbe, die beschädigt sind, werden im Herbst ausgesondert und den Winter über repariert. Enno erzählt uns, dass seine Strandkörbe aus Holz, meistens Tanne und Fichte, bestehen. Wenn er Reparaturen vornimmt, werden fast immer der Rahmen und die Seitenteile komplett ersetzt. Das Holz hat sich verbessert und ist wetterbeständiger als früher, so dass seine Strandkörbe nach seiner Reparatur fünf bis sieben Jahre am Strand stehen bleiben. Mittlerweile wird ölhaltige Lerche verarbeitet. Die Innenausstattung, Polster und die Sitzbank werden aus Markisenstoff gefertigt. Diese Teile müssen fast immer repariert werden, da sehr viel durch Vandalismus und Zigaretten zerstört wird. Seine „Strandkorbpraxis“ hat 12 Monate durchgehend geöffnet und jährlich gehen zirka 200 Strandkörbe durch seine Strandkorbdoktor-Hände. In mühevoller Handarbeit und mit enormer Liebe zum Detail schleift, sägt, hämmert und lackiert Enno an seinen Patienten herum, bis sie wieder „strandfein“ sind.
Enno liebt seinen Beruf über alles, denn in den Wintermonaten hat er seine Ruhe und arbeitet täglich in der Werkstatt und in den Sommermonaten geht Enno jeden Morgen um 7 Uhr an den Strand und überprüft jeden einzelnen Strandkorb. Sind alle Schlüssel da, ist alles sauber? Sind alle Strandkörbe noch in einem einwandfreien Zustand? „Das Gefühl von Ruhe, Nordsee und die Reparatur der Körbe macht mich einfach glücklich. Das Schönste daran ist, man lernt ständig neue Menschen kennen oder trifft alte Bekannte, die man schon Jahre kennt und dann schnackt man eine Runde miteinander“, sagt Enno.
"MEINE ARBEIT MACHT MICH EINFACH GLÜCKLICH."
Auf die Frage, ob hin und wieder mal Strandkörbe verschwinden, antwortet Enno: „Nein, seit ich hier bin ist noch nie einer ernsthaft geklaut worden. Hin und wieder stehen mal welche vor dem Deich rum. (er lacht) Weiter kommen die Diebe meistens nicht und geben auf, weil ihnen die Körbe zu schwer werden“. „Aber es werden jeden Tag Strandkörbe aufgebrochen und es wird randaliert, das ist leider an der Tagesordnung“, erzählt uns Enno weiter.
Wir fahren zu einem alten Bauernhof und müssen auf den Heuboden über eine Leiter klettern. Ein wirklich interessantes Bild bietet sich uns, weil man Strandkörbe eigentlich nur am Strand oder im heimischen Garten vermutet. „Hier halten unsere Strandkörbe ihren Winterschlaf!“, präsentiert uns Enno ganz stolz. Von Oktober bis Anfang April werden die Strandkörbe hier wind- und wetterfest gelagert. Wenn die Saison beginnt, werden die Strandkörbe mit einem Hänger an den Strand gefahren und von Hand nach einem System aufgestellt. In Schillig zum Bespiel werden die Strandkörbe mit der Nr. 1 bis 240 direkt ans Wasser gestellt und für die etwas älteren Gäste, kommen ein paar Strandkörbe auf den Rasen.
Selbstverständlich hat Enno als Strandkorbdoktor zuhause im Garten auch einen Strandkorb stehen und wir geben zu, wir hätten auch gerne einen mit nach Hause genommen. Aber wir müssen ehrlich sagen, nur hier im Wangerland an der Nordsee, wo die Strandkörbe den echten Meeresduft tragen, kann man sich hinein setzen, entspannen und sie hören, die ewige Geschichte vom Leben am Meer!